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Im vorherigen Beitrag habe ich aufzuzeigen versucht, durch welche dem Neoliberalismus inhärenten Eigenschaften dieser die Gesellschaft atomisiert. Ich möchte mich nun der Frage der Gemeinsamkeiten und Parallelen des Neoliberalismus und des Terrorismus widmen.
Essentiell für das Verstehen von Terrorismus ist m.E. die Definition von Macht und Gewalt nach Hannah Arendt. Macht definiert sich demnach durch die Existenz menschlicher Gemeinschaften, der Machtursprung fällt mit der Gründung der Gruppe zusammen. Die Bedingung der Möglichkeit für Macht ist das Handeln, vor allem das gemeinsame miteinander Handeln, wodurch ein öffentlicher, politischer Raum geschaffen wird. Macht geht nach Arendt nie von einem Menschen alleine aus, da es immer eine Verbindung, ein inter-esse, ein Dazwischen braucht, welches die Menschen verbindet und gemeinsam handeln lässt. Der Einzelne kann nur Stärke und Gewalt, nicht aber Macht besitzen. Der Gewalt ist, im Gegensatz zur Macht, ein instrumentellen Charakter inhärent. Gewalt anwendend richten wir uns immer auf etwas, sie ist also ein Mittel zum Zweck. Außerdem dient sie mithilfe von Gewaltmittel dazu, menschliche Stärke, welche auch nur einzelnen Menschen zukommen kann, zu vervielfachen. Gewalt und Stärke können also auch einzelne Menschen erhalten, während Macht nur einer gemeinsam handelnden, durch Interesse verbundenen Gruppe inhärent ist. Es ist wichtig zu betonen, dass die Phänomene der Macht und Gewalt jedoch so gut wie nie separat erscheinen, sondern meist in Kombination auftreten.
Nun habe ich im ersten Teil gezeigt, wie erstens der Neoliberalismus Momente der Atomisierung hervorbringt, indem Menschen als konkurrierende Objekte betrachtet werden und in den privaten Bereich des Arbeitens und Konsumierens gedrängt werden. Zweitens habe ich die Leere und Objektivierung des eigenen Körpers aufgezeigt. Diese zwei Momente sind nun essentiell im weiteren Verlauf. Mary Kaldor bezieht sich im Hinblick auf die neuen und alten Kriege u.a. auch auf die Globalisierung und die von ihr verursachte, tiefgreifende Veränderung sozialer Strukturen. So hat die Globalisierung grob gesprochen zwei sehr unterschiedliche Phänomene hervorgebracht; erstens gibt es diejenige Gruppe an Menschen, die ihren Platz in der Globalisierung gefunden hat, die sich auf einen schnellen Wandel bezüglich sozialgesellschaftlicher und ökonomischer eingestellt hat. Auf der anderen Seite hat sich eine Gruppe herausgebildet, die eigentlich keine Gruppe im Sinne des vorigen Absatzes ist. Diese Menschen finden ihren Platz in der globalisierten Welt nicht, wodurch eine große Unsicherheit in und zwischen ihnen wächst. Kaldor bezeichnet diese Entwicklung die “Politik der Identität”. Mit der Globalisierung einhergehend ist “von einer ‘Identitätskrise’ zu sprechen – von einem Gefühl der Entfremdung und Orientierungslosigkeit, das den Zerfall kultureller Gemeinschaften begleitet.”¹ Weder die in der globalisierten Welt sich zurechtfindende Gruppe, noch die partikularistische Gruppe besitzen ein sonderlich ausgeprägtes politisches Bewusstsein. Kaldor kann hier mit Arendt gelesen werden, wenn sie schreibt: “Bislang verfügen diese sich herausbildenden globalen Gruppierungen noch nicht über ein politisches Bewußtsein, oder allenfalls über ein schwach ausgeprägtes. Das heißt, sie stellen kein Ferment für politische Gemeinschaften dar, von denen neue Formen der Machtausübung ausgehen könnten. Ein Grund hierfür liegt im Individualismus und der Anomie, durch die die heutige Zeit geprägt ist.”² Das bedeutet, dass weder die eine, noch die andere Gruppe ein sonderlich ausgeprägtes politisches Bewusstsein besitzt.
Wie im vorigen Teil beschrieben, löst sich im Neoliberalismus das Inter-esse, also die Verbindung zwischen Menschen, auf. Vielmehr herrscht Vereinzelung, Leere und ein gegeneinander Agieren. Dieses Handeln kann jedoch keine Macht konstituieren, eben gerade weil das Gemeinsame zwischen den Menschen fehlt. Diese Atomisierung der Gesellschaft ist gleichzeitig auch das Ziel des Terrors.
Was sind also nun die Bedingungen zur Entstehung des Terrors? Für die Terrorherrschaft fundamental ist die ihm vorausgehende Gewaltherrschaft, welche eine Entmachtung der Gesellschaft anstrebt. Die Entmachtung wird durch eine Auflösung von Verbindungen und Gemeinschaften erreicht; sprich durch Vereinzelung. Die Entmachtung ist gänzlich erfüllt, wenn sich der Gewaltherrschaft gegenüber keine organisierte Opposition mehr gründen lässt. Nun sind die für die Terrorherrschaft prädestinierten Bedingungen gegeben. “Der Terror konserviert und intensiviert die Entmachtung durch die Atomisierung der Gesellschaft”³. Er führt demnach das Spiel, welches die Gewaltherrschaft vor ihm getan hat, in intensivierter Weise fort. Nicht mehr die Menschen organisieren sich, sondern die Terrorherrschaft organisiert die Menschen mit dem Gewaltinstrument der Atomisierung. “Dem Terror gelingt es, Menschen so zu organisieren, als gäbe es sie gar nicht im Plural, sondern nur im Singular”4. Der Terror nährt sich demnach von einer Ohnmacht, der Unmöglichkeit durch Zusammenschluss und gemeinsamem Handeln Macht zu konstituieren. Im Terror bricht alles zusammen, was die Menschen miteinander verbindet, es ist, so beschreibt Arendt, ein von allem verlassen sein sowie auch auf nichts mehr Verlass ist. Auch im Terror findet sich das Moment der Unsicherheit, des Verloren- und Verlassenseins wieder – wie auch schon im Neoliberalismus aufgezeigt habe.
Der Neoliberalismus bringt sowohl eine Leere und Verlorenheit in den Menschen hervor, als auch eine Objektivierung und Privatisierung auf gesellschaftlicher Ebene, die Gemeinsames und Verbindungen immer mehr verhindern. Die Charakteristika des Neoliberalismus und des Terrorismus verlaufen ineinander, ergänzen und decken sich. Ich vermeine zu sagen, dass sie nicht denselben Zweck verfolgen, das wäre wohl übertrieben und sehr undifferenziert. Jedoch bringt der Neoliberalismus eine atomare Gesellschaft hervor, die, wie ich gezeigt habe, für das Entstehen und Wirken des Terrorismus’ fundamental und essentiell ist.
¹ Mary Kaldor (1999), “Alte und Neue Kriege”. Frankfurt/Main. S. 130
² ebd. S. 130
³ Hannah Arendt (1985), “Macht und Gewalt”. München, Zürich: Piper. S. 56
4 Hannah Arendt: Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft. S. 958
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